Zwölf Fragen an Daniel Bloch

Normalerweise springen wir ins kalte Wasser. Daniel Bloch, CEO und VR-Präsident des Schokoladenherstellers Chocolats Camille Bloch, hingegen beschreibt den Sprung aus dem warmen Wasser. Wie meint er das? Und welche Rolle spielt der Frosch dabei? Interviewter und Interviewer kennen sich, deshalb die Du-Form.

Interview: Thomas Breitinger, Geschäftsführer BrandPartner AG
Bilder: zVg

Daniel, du hast 2017 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel «Creating Passion – vom Sprung aus dem warmen Wasser». Wie kam es dazu?

Ein Auslöser war meine Nominierung zum Unternehmer des Jahres. Die Juroren fragten mich, was mich als Unternehmer auszeichne, und ich antwortete, ich hätte die Gewohnheit, Probleme nicht sofort zu lösen. Ich würde sie in der Imperfektion stehen und ruhen lassen. Dadurch würden neue Perspektiven heranreifen, aus denen ich bessere Lösungen schöpfen würde. Ich glaube, meine Ansicht löste ein gewisses Unverständnis aus. Jedenfalls wurde ich nicht zum Unternehmer des Jahres gekürt (lacht). Als ich diese Episode ein paar Monate später meinem früheren Vorgesetzten Berni Ludwig erzählte, meinte er: «Du solltest diese Sichtweise niederschreiben, sie ist zumindest originell.» Ich begann, über mich nachzudenken, und notierte meine Gedanken, zuerst ungeordnet in Stichworten, später strukturierter, zusammenhängender. Schliesslich entstanden mehrere Geschichten.

Du hast dich also mit dir selber auseinandergesetzt. Was hat das mit dir gemacht? Bist du gereift, geläutert daraus hervorgegangen?

Ja, du kannst es so ausdrücken. Ich habe schon immer dazu geneigt, zu meinen Gedanken in eine Beobachterstellung zu gehen. Wenn du beginnst, darüber zu schreiben, kommen neue Fragen: Wer bin ich? Was steckt in mir? Was ist nützlich? Wie denke ich? Wie fühle ich? Wie entscheide ich? Es ist ein Prozess des «Sich- Häutens». Jede Schicht enthält neue Informationen, neue Zusammenhänge.

Kannst du Beispiele für typische Charakterzüge von dir geben?

Natürlich, auch wenn ich das nicht so gerne offenbare. Zum Beispiel: den Mut haben, Fehler zu machen, spielerisch an Dinge herangehen, inaktiv sein, warten, Dinge reifen lassen – und umgekehrt: eine Idee spontan, aus heiterem Himmel umsetzen, ungeduldig werden, Ungeduld zulassen. Ich bin kein Marathonläufer. Mein Rhythmus ist «Sprint – Pause – Sprint». Lineare Prozesse liegen mir nicht besonders.

Was heisst das konkret?

2012 sagte unser Einkäufer René Meier zu mir: «Um die grossen Preisschwankungen bei der Beschaffung von Haselnüssen auszugleichen, sollten wir ein Stück Land kaufen und unsere eigenen Haselnüsse anpflanzen. Somit wären wir weniger abhängig von den Schwankungen des Marktes.» Ich antwortete, das sei eine gute Idee. Wie gesagt, wir waren im Jahr 2012. Drei Jahre später, also 2015, fragte ich René: «Haben wir eigentlich das Land gekauft? » Natürlich fiel er sprichwörtlich aus allen Wolken, als ich ihm diese Frage aus heiterem Himmel stellte. Er schaute mich verwundert an und meinte: «Ich dachte, das Thema sei schon längst abgehakt, wir haben ja nie mehr darüber gesprochen.» Das ist typisch für mich. Nur weil ich nicht darüber spreche, bedeutet das nicht, dass ein Thema keine Relevanz mehr hat. 2015 wurde es relevant, und wir haben die Planung konkret in Angriff genommen. 2018 kauften wir 650 Hektar ebenes Landwirtschaftsland.

Hätte es nicht genügt, wenn du deine Notizen unters Kopfkissen gelegt hättest? Die Erkenntnisse hattest du ja. Mit anderen Worten: Weshalb die (Buch-)Veröffentlichung?

Ja, das ist eine berechtigte Frage (schmunzelt). Im Juli 2016 traf ich mich mit meiner ehemaligen Klasse zum 20-Jahr-Jubiläum unseres MBA-Abschlusses in Fontainebleau. Dabei fiel mir auf, dass die meisten Mitstudierenden steile Karrieren in internationalen Konzernen absolviert hatten, während ich ein KMU, ein Familienunternehmen, leitete. In den Gesprächen wurde mir klar, wie andersartig ich mich als Chef eines Schokolade- KMU entwickelt hatte. Ja, ich empfand mich geradezu als Antithese zu dem, was uns Fontainebleau und die klassische Betriebswirtschaftslehre auf den Weg gegeben hatten. Die Erfolgsfaktoren, die ich für die Entwicklung von Camille Bloch erkannte, waren anderer Natur als jene der Schulbücher. Für mich sind Fantasie, Kreativität und Passion ausschlaggebender als die reine numerische Lehre der Betriebswirtschaft. Als mir das klar wurde, beschloss ich, meine Erkenntnisse in Buchform niederzuschreiben und diese mit meiner Aussenwelt zu teilen. Dazu musste ich mich aber überwinden. Die Veröffentlichung empfand ich nicht gerade als Akt der Bescheidenheit. Wenn du dich auf die Bühne stellst, kannst du dich nicht verstecken. Ich aber offenbare mich nicht wirklich gerne. Trotzdem tat ich es. Und es entwickelte sich Erstaunliches. Seit der Veröffentlichung entstand ein mannigfaltiger Austausch, und der hat mir so viel gebracht, so viel Neues ausgelöst, dass ich inzwischen an einem zweiten Buch arbeite. Und ja: Am Akt des Schreibens habe ich Freude gefunden!

Wieso hast du den Untertitel «Vom Sprung aus dem warmen Wasser» gewählt? Normalerweise springt man doch ins kalte Wasser!

Als ich 1994 ins Familienunternehmen einstieg, ging es der Firma gut. Sie war kerngesund. Eigentlich gab es gar nichts Grundlegendes zu verändern. Das Bestehende zu verwalten, hätte für die nächsten Jahre genügt. Für diese Situation nutze ich im Buch die Metapher des Frosches, der wohlig im warmen Wasser sitzt. Nur: Wenn sich das Wasser aufwärmt, bleibt der Frosch im Wasser sitzen und verbrüht darin. Keine schöne Vorstellung! Also musste ich zum Sprung aus dem warmen Wasser ansetzen. Zu dieser Zeit war das Unternehmen dominiert von der Person meines Vaters. Er war der Patron. Eigeninitiative und Selbstverantwortung waren wenig ausgeprägt, selbst in der Geschäftsleitung. Wenn ich wirklich aus dem warmen Wasser herauswollte, musste ich Führung und Verantwortung selber übernehmen. Ich musste meinem Vater gegenüber auch klar kommunizieren, dass ich bereit sei für die Stabsübernahme und dass es nun an ihm liege, ob er mir den Stab auch definitiv übergeben wolle. Anders ausgedrückt, stellte ich meinen Vater vor die Wahl: du oder ich. Diese Frage spitzte sich ab 1997 zu, und ich stellte sie ihm tatsächlich in dieser Form 2001, nachdem wir sieben Jahre zusammengearbeitet hatten. Zu meinem Erstaunen reagierte mein Vater nach einigen starken Worten konstruktiv. In der Krise war er immer fähig, seine Emotionen hinter der Sache zurückzustellen, und wir vereinbarten, dass er sich ab 2005 definitiv von allen Funktionen zurückziehen würde. Das Versprechen hat er dann auch konsequent eingehalten. Für mich war es psychologisch wichtig zu wissen, woran ich war, und die vier verbleibenden gemeinsamen Jahre im Geschäft nutzten wir, um Veränderungen anzugehen und, vor allem, um die Mitarbeiter auf den Generationenwechsel vorzubereiten.

Wie hast du deinen neuen Freiraum genutzt? Wie bist du vorgegangen?

Ich startete mit der Überprüfung der Markenpersönlichkeit von Camille Bloch. Mein Ansatz lautete: Camille Bloch ist ein Schweizer KMU. Es wird durch die Familie geleitet und geführt. Die Frucht sind die Produkte. Die Marken nehmen die Rolle als Bindeglied zwischen dem Hersteller und dem Kunden wahr. Dazu stellte ich mir folgende Fragen:

  1. Wer sind wir als Familie und Inhaber?
  2. Wer sind wir als Unternehmen?
  3. Wer sind wir als Marken (Produktidentität)?

Beim Nachdenken und Analysieren stiess ich auf erstaunlich viele Übereinstimmungen zwischen den drei Themenkreisen. Das gefiel mir. Ich dachte: Wenn die Merkmale über die drei Ebenen stimmig sind, erhöht sich die Gesamtwirkung exponentiell. Ich beschloss, die Sachen näher zusammenzubringen.

Ein Beispiel: Meine Familie ist nicht glamourös. Wir fühlen uns eher in Brooklyn zu Hause als im glamourösen, «shiny» Manhattan. Als Firma und als Führungsperson fühle ich mich unseren Mitarbeitern nahe. Mein Führungsstil ist eher partizipativ. Unsere Produkte sollen durch Echtheit, durch handwerkliche Authentizität überzeugen. Echtheit statt Perfektion. Camille Bloch und seine Marken wollen nicht durch Äusserlichkeiten, sondern durch das innere Versprechen beeindrucken. Diesen Ansatz nutzten wir bei unserem Neubau in Courtelary. Im Architekturwettbewerb schafften es drei Vorschläge in die Endauswahl. Eine der Arbeiten schlug eine stark glänzende Gebäudehülle vor. Diese Architektur war sehr eigenständig, stolz und extrovertiert. Sie beeindruckte unsere Jury – und ja, auch mich zog sie in ihren Bann. Die Schlussabstimmung ergab eine Pattsituation zwischen der extrovertierten und einer gestalterisch kreativeren, aber bescheideneren Lösung. Es war an mir, den Stichentscheid zu fällen. Letztlich aber half mir auch hier die Arbeit zur Camille-Bloch-Markenidentität. Ich entschied mich für die bescheidenere Lösung. Ich habe diesen Entscheid bis heute nie bereut.

Was waren die Gründe für den Neubau?

Mit dem Neubau wollten wir viele Probleme aufs Mal lösen. Engpässe in der Logistik, in der Produktion und in den Büros, Verzettelung der Gebäude, und wir hatten noch keine Vision, wie wir in Courtelary Besucher empfangen könnten. Es ging darum, mehrere Probleme zu lösen, die – auf den ersten Blick – wenig bis nichts miteinander zu tun hatten. Statt sie einzeln zu lösen, bündelten wir sie zu einem grossen Ganzen. Daraus entstand eine Lösung mit viel grösserer Tragweite. Eine Vision für das Unternehmen Camille Bloch, die in dieser Form nicht entstanden wäre, wenn wir die Probleme einzeln gelöst hätten.

Welche konkreten Auswirkungen hatte die verfeinerte Identität auf den Ebenen Corporate und Marken?

Im Kern überarbeiteten wir den gesamten Marketingmix. Ich beginne mit der Corporate- Ebene Camille Bloch: Mir lag daran, die Persönlichkeit von Camille Bloch authentischer, eigenwilliger und vor allem greifbarer, verständlicher zu inszenieren. Wir hinterfragten den damaligen Claim «Camille Bloch – Mon Chocolat Suisse». Welche Aussagen könnten Camille Bloch eigenständiger umschreiben? Wir entschieden uns für folgende Claims: Camille Bloch – Chocolaterie Suisse depuis 1929 (gültig bis 2021).

Die französische Sprache betont unseren Ursprung und den Standort unserer Produktion: Courtelary im französischsprachigen Berner Jura.

Der Begriff Chocolaterie unterstreicht das Artisanale, die Handwerkskunst. Das passt auch gut zu uns als KMU. Camille Bloch ist überschaubar. Familie und Menschen sind erkennbar und «fassbar». Für grosse, globale Unternehmen ist dies viel schwieriger.

Camille Bloch – Une Passion partagée. Depuis 3 Générations (gültig seit 2022). Der Begriff Passion unterstreicht unsere Leidenschaft für das Metier des Chocolatiers. Wir können unsere Kakaobohnen bis zum Dorf zurückverfolgen, wo sie geerntet wurden. In Courtelary, am einzigen Produktionsstandort, machen wir alle Produktionsschritte selber. Von Rösten über Walzen bis zu Conchieren, Giessen und Formen und natürlich Verpacken.

«Depuis 3 Générations» rückt die Familie in den Vordergrund, die die Geschicke von Camille Bloch seit bald hundert Jahren eigenständig lenkt.

Nun zur Markenebene: Wir haben unsere beiden Marken Ragusa und Torino jeweils mit innovativen Formaten oder Geschmacksrichtungen an den Zeitgeist angepasst, ohne aber die Essenz der Marke zu ändern.

«So Nuts», unsere neuste Marke, die wir 2020 lanciert haben, konnte sich zuerst auf Ragusa und Torino beziehen, sollte sich aber mittelfristig auch eigenständig beweisen.

Wie veränderte sich die Kommunikation?

Die Kampagne «Ragusa unverbesserlich» porträtiert Menschen und deren etwas verschrobene Charakterzüge. Bruno, Eva, Philipp und Mario zeigen ihre unverbesserlichen Eigenarten, ihre Ecken und Kanten. Sie wollen gar nicht perfekt sein. Das macht sie sympathisch, ja geradezu liebenswert.

Aus den Spots leiteten wir die Plakatkampagne ab, die das Thema als Frage-Antwort- Spiel weiter zuspitzt: «Du bist nicht perfekt? Perfekt!» Und so schliesst sich der Kreis zur Markenpositionierung: So einzigartig und unverbesserlich wie Ragusa. Eigentlich ist ja Ragusa gut, so wie es ist. Also, im wahrsten Sinn des Wortes, unverbesserlich. Ragusa hat seit achtzig Jahren Bestand, ist beliebt, ist Teil unseres Lebens geworden.

Ragusa-Werbung.
Ragusa-Werbung.

Auch die Verpackungen haben sich verändert. Welche Bedeutung hat das Medium Verpackung für dich?

Ich vergleiche die Verpackung gerne mit unserer Haut. Die Haut ist ein sehr wichtiges Element, sogar lebensnotwendig. Aber ihre primäre Rolle bleibt, das Innere zu schützen. Die Haut soll nicht mehr Bedeutung erhalten als der Inhalt.

Nachdem die Arbeiten der Markenidentität Camille Bloch abgeschlossen waren, machten wir uns Gedanken zur Markenarchitektur unserer Verpackungen. Ich wollte Firma und Marken näher zusammenbringen. Wir realisierten nämlich, dass manche Konsumenten nicht wussten, wer Ragusa und Torino herstellt. Das wollten wir ändern. Also ergänzten wir die Packungsfrontseiten mit dem Camille-Bloch-Logo. Nun war unübersehbar klar, welche Firma Ragusa und Torino herstellt! Nur: Unsere Verpackungen sind oft klein, und das Regal ist geflutet mit Produkten. Wir mussten feststellen, dass unsere Verpackungen «langsamer» kommunizierten als vorher. Auch lernten wir, was Markenarchitektur wirklich bedeutet: klare und eindeutige Kommunikation der Produktwerte an die Konsumenten. Die beiden Logos kamen sich eher «in die Quere». Der beabsichtigte Vorteil brachte neue, unerwartete Nachteile mit sich. Zurück auf Feld eins. Das Camille- Bloch-Logo versetzten wir von der Packungsfront auf die Rückseite, ergänzt mit der Unterschrift von Daniel Bloch und den Hinweis «Créé et produit à Courtelary».

Unser damaliges Verpackungsdesign war ziemlich «Glanz und Gloria». Alles war perfekt arrangiert, alles glänzte, alles stand poliert im Scheinwerferlicht. Das entsprach dem damaligen Zeitgeist. Nun aber stand der Verpackungsauftritt im Widerspruch zur neu überarbeiteten Markenidentität. Weg von der Perfektion, näher an das innere Produktversprechen. Die Verpackung ist die Haut des Produkts. Die Haut soll ihren Inhalt sinnlich inszenieren und wiedergeben. Allerdings: Die Vielzahl lebensmittelrechtlicher Deklarationen schränkt die Platzverhältnisse stark ein und widersetzt sich dem Ziel der sinnlichen Haut. Insbesondere auf kleinformatigen Verpackungen wie bei unserem Ragusa- Riegel 50 g. Und: Regelmässig kommen neue Vorgaben dazu. Neuerdings soll ein Ampelsystem die Essgewohnheiten von Konsumenten leiten …

Thema Marketing: Gibt es Prinzipien, die dir besonders wichtig sind?

Für mich hat Marketing zwei Aspekte: einen pragmatischen und einen emotionalen. Natürlich verlaufen die Grenzen fliessend. Im Grundsatz geht es darum, Argumente für Konsumenten zu definieren. Aus den Markenwerten. Aus der Einzigartigkeit der Produkte. Verständlich, emotional, auf dem Punkt. Es ist unser Dialog mit den Konsumenten, angetrieben vom Wissen um die Freude der Konsumenten an unseren Produkten, an unseren Marken. Ich habe die Hoffnung, dass sich Konsumenten für den ganzen Eisberg interessieren lassen, nicht nur für dessen Spitze. Wir sind gefordert, den ganzen Eisberg zu zeigen, ihn erlebbar zu machen. Empathisch, einfühlsam, achtsam. Nicht mit der Brechstange. Ich befürworte das Prinzip der Resonanztheorie. In der Tat schwebt der Konsument über allem. Er ist sozusagen die Mutter aller Dinge. Für mich sind nicht statistische Grössen wichtig, sondern ich möchte unsere Konsumenten emotional erreichen. Wir wollen mit ihnen unsere Leidenschaft für Schokolade teilen. In Courtelary haben wir die Camille-Bloch-Erlebniswelt «La Chocolaterie à croquer» erschaffen, nicht ein Museum. Im digitalen und im analogen Austausch mit unseren Besuchern. Wir lernen unglaublich viel. Besucher sagen uns, was sie grossartig finden, und sie sagen uns auch, was sie ablehnen oder was sie gleichgültig lässt. Und: Die Freude der Konsumenten ist die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg!

Schweizer Schokoladenkönig Daniel Bloch.
Schweizer Schokoladenkönig Daniel Bloch.