Zweifelsohne Zweifel

Zweifel steht für Pommes-Chips, aber auch für Familientradition. «persönlich» hat sich mit Christoph Zweifel unterhalten, der die dritte Generation vertritt und seit zwei Jahren als Nachfolger von Roger Harlacher das Unternehmen leitet.

Text: Thomas Breitinger, Geschäftsführer und Partner BrandPartner AG
Foto: Zweifel

Kinder von Familienunternehmen haben es nicht leicht. Besonders ab der dritten Generation. Da sind die erfolgreichen Vorbilder der Eltern und Grosseltern. Da sind die Erwartungen an die Kinder. Das erzeugt Druck, das engt ein. Christoph Zweifel erzählt, wie er seinen Weg ging, über seinen Drang nach Unabhängigkeit und wie er den Herzenswunsch seines Vaters doch noch erfüllte.

Kindheit und Familie
Da sein Vater die Zweifel-Chips in der Migros nicht verkaufen durfte, schickte ihn seine Mutter mit dem Einkaufszettel stets in den Coop. Die Gespräche am Familientisch drehten sich häufig um die Alltagsthemen im Betrieb. Das war normal. Es gehörte einfach dazu. Das familiäre Umfeld würde er als bodenständig, zurückhaltend, fast ein wenig bescheiden beschreiben. Die Eltern verwöhnten die Kinder nicht sonderlich. Klar, es war alles da. Was über das Normale hinausging, mussten sie sich aber selbst verdienen. Die Mutter ist und war schon immer eine starke Persönlichkeit. Aufgeschlossen und ihrer Zeit voraus. Als eine der ersten weiblichen Angestellten arbeitete sie im Weingeschäft des Grossvaters mit. Vom Grossvater hatte sie das volle Vertrauen, man spürte den Zusammenhalt innerhalb der Familie. Dem Vater hielt sie zudem stets den Rücken frei und kümmerte sich neben den beruflichen Tätigkeiten mit Hingabe um die Familie.

Beruflicher Werdegang – Studium, Dissertation und Einstieg bei Unilever
Der Vater hätte es gerne gesehen, wenn sein Sohn Christoph rasch in den Familienbetrieb eingestiegen wäre. Dieser hatte aber ganz andere Pläne. Es zog ihn in die grosse Welt hinaus; er wollte seinen eigenen Weg gehen, unabhängig und frei. In gewisser Weise bot er seinem Vater die Stirn. Er schrieb sich ein für das Studium zum Lebensmittel-Ingenieur an der ETH Zürich. Nach dem Abschluss verfasste er seine Dissertation zum Thema Trocknungstechnologie von Teigwaren. Es ging darum, das sogenannte Cracking (kleine Brüche und Spannungsrisse) beim Trocknen von Teigwaren zu verhindern. Diese Forschungsarbeit entstand in Zusammenarbeit mit Nestlé Buitoni. Eine spannende Zeit. Nach knapp zehn Jahren an der ETH zog es ihn zu neuen Ufern, weg von der Wissenschaft. Unilever bot ihm den Einstieg in die Welt des Verkaufs. Ganz selbstverständlich war das nicht. Er kam ja aus einer ganz anderen Richtung. Von der Pike auf lernte er das Handwerk des Key-Account-Managers (KAM). Er lernte das Einmaleins in der Beziehung zwischen Hersteller und Handel.

Deal or No Deal? Christoph Zweifel entwickelt Verhandlungsgeschick
Nach gut drei Jahren wurde er zum Senior KAM für Lipton Ice Tea befördert. Er betreute den gesamten Detailhandel, der ja damals mit ABM, EPA, Coop, Volg, Spar, Denner, Waro, Carrefour, Pick Pay, Primo und Vis-à-Vis deutlich vielfältiger war als heute. Ebenso vielfältig gestalteten sich die Verhandlungen mit den Einkäufern. Jeder hatte seine Zielsetzungen und Vorgaben und natürlich seinen Charakter. Auch Christoph Zweifel hatte seine Ideen und – vor allem – seine Ziele, die er erreichen wollte. Das gelang manchmal nicht gleich auf Anhieb. Aber er lernte, was Hartnäckigkeit bewirken kann, wozu ihm folgendes Beispiel einfällt: «Als ein Einkäufer unser Gespräch durch Auflegen des Hörers abrupt abbrach, rief ich ihn gleich noch mal an und entschuldigte mich für den ‹Leitungsunterbruch› der Swisscom. Natürlich war das nur ein Vorwand für die erneute Gesprächseröffnung. Mein Gesprächspartner meinte etwas genervt, ihm wäre der Kragen geplatzt. Er hätte den Hörer aufgelegt. Ich versuchte ihm klarzumachen, dass es mir wichtig sei, die gemeinsamen Ziele mit Lipton zu erreichen, und ich deshalb das Gespräch weiterführen möchte. Ich glaube, das hatte er nicht erwartet. Auf jeden Fall fanden wir einen für beide Seiten guten Kompromiss.»

Schwierige Zeiten, lehrreiche Erfahrungen
2005 bot ihm Unilever den nächsten Karriereschritt an: die Verantwortung für das Trade- Marketing. Der Job-Titel lautete Head of Customer Marketing. In dieser Aufgabe vertrat Zweifel auch die Interessen von Unilever Schweiz im europäischen Unilever Board in Hamburg. Gegenüber dem globalen Brand hatten es die lokalen Marken natürlich schwer. Im Rahmen der damaligen Strategie wurden diese auf ihre Daseinsberechtigung hin hinterfragt. Zudem sollten die Brands von 1400 auf 700 reduziert werden. Es bestand also die Gefahr für Marken wie zum Beispiel Sais, Kressi oder Boursin, eliminiert oder migriert zu werden, was aus Schweizer Sicht inakzeptabel war. Für das lokale Geschäft waren diese Marken wichtig. Der Auftrag lag Zweifel am Herzen, und er verteidigte die Marken vehement. Eine ganz andere Herausforderung waren die wiederkehrenden Restrukturierungsprogramme, die er mitzutragen und – vor allem – umzusetzen hatte. Er musste Entlassungen aussprechen. Das war hart, und es fiel ihm schwer. Bei einem dieser Programme entschied er, sich gleich selbst «wegzurationalisieren». Seine Vorgesetzte (die damalige CEO Unilever Schweiz) war sehr überrascht und staunte schon ein wenig darüber. Letztlich aber akzeptierte sie seinen Willen. Nach über neun Jahren bei Unilever war die Zeit gekommen für eine neue Herausforderung.

Weiterbildung und eine neue Herausforderung
Zweifel spürte Lust auf geistige Nahrung und entschied sich für ein CAS-Modul der Uni Zürich in Corporate Finance. Die Themen Unternehmensbewertung, Investitionspolitik und risikogerechte Kreditgestaltung waren neu und spannend. Er fand Freude an der Interpretation von Kennzahlen, um daraus Schlüsse zum «Gesundheitszustand» einer Unternehmung zu ziehen. Er erlernte das Einmaleins der betriebswirtschaftlichen Unternehmensführung. Eines Tages kontaktierte ihn ein Headhunter und fragte ihn, ob er Lust hätte, Gipfeli zu verkaufen.» Bei Aryzta (Hiestand) war die Funktion eines National Account Manager zu besetzen. Die Hiestand-Gipfeli waren auf Expansionskurs, Restrukturierungen waren also nicht zu befürchten. Neben den eigenen Accounts durfte er zusätzlich das Joint Venture zwischen Coop und Hiestand (Hicopain) managen. Nach zwei Jahren übernahm er die Gesamtverantwortung für den Bereich Convenience und Tankstellen.

Sabbatical – wertvolle Zeit mit der Familie
2014 waren die beiden Kinder, Joel und Robin, bereits Teenager. Zweifel realisierte, wie rasch sie heranwuchsen, und fand es an der Zeit, einen lang ersehnten Wunsch umzusetzen: eine gemeinsame Familienauszeit in Australien! Sie lebten viereinhalb Monate in Down Under. Es war ein unvergessliches Erlebnis. Die beiden ersten Monate wohnten sie in Sydney, die Kids gingen dort zur Schule. So lebten sie für eine kurze Zeit wie Australier, was Zweifel sehr gefiel. Danach bereisten sie während zweier Monate das ganze Land. Auch heute blickt Zweifel gerne auf diese Zeit zurück und ist seither mehrmals dorthin zurückgereist.

Die Zeit ist reif – der Einstieg bei Zweifel
Nach diesem grossartigen Sabbatical war Christoph Zweifel, im wahrsten Sinne des Wortes, tiefenentspannt und voller Energie für eine neue berufliche Herausforderung. Als im Frühjahr 2015 die Stelle des Marketing & Sales Director bei Zweifel neu zu besetzen war, fühlte er sich bereit – bereit für den Einstieg in den Familienbetrieb. Er bewarb sich, jedoch unter der strikten Voraussetzung, dass die Familienzugehörigkeit bei der Vergabe keinen Einfluss haben dürfe. Konkret: Hätte sich ein Familienmitglied kritisch zu seiner Kandidatur geäussert, hätte er seine Bewerbung zurückgezogen. Die Bedenken waren aber unbegründet. Die Familie stand mit vollem Vertrauen hinter ihm und ermutigte ihn zusätzlich zu diesem Schritt. Er startete mit einem viermonatigen Training quer durch alle Abteilungen. Das war gut investierte Zeit! So lernte er die Mitarbeitenden und Prozesse von Grund auf kennen. Er freute sich über den starken Teamgeist und den spürbaren Stolz der Mitarbeitenden, bei Zweifel arbeiten zu dürfen. Noch heute zeigt sich dies in der Dauer der Arbeitsverhältnisse: Über 50 Prozent der Angestellten sind länger als zehn Jahre im Unternehmen.

Der geläuterte Blick – Optimierungspotenziale im Unternehmen
Mit fünfzehn Jahren Berufserfahrung aus zwei Grossunternehmen war Zweifel frei von Betriebsblindheit, und vermeintliche Scheuklappen hatte er abgelegt. Die beruflichen Erfahrungen zahlten sich aus. Sie hatten seinen Blick geweitet und gleichzeitig geschärft. Als Kritikpunkt ortete er eine gewisse Hierarchiegläubigkeit. Die Tendenz, die Augen nach oben zu richten, eine Anordnung vom Vorgesetzten zu erwarten, nach dem Motto: «Alles Gute kommt von oben.» Das gefiel ihm nicht. «Ich bin ein Fan flacher Organisationen mit geringer Anzahl Entscheidungshierarchien. » Zweifel schätzt ziel- und themenorientierte Projektgruppen. Agil und wendig. Teams mit Eigenverantwortung und Entscheidungskompetenz. Das macht Unternehmen flexibler und schneller. Das Unternehmen gewinnt an Fahrt. Speed und Timing sind heute entscheidend. Natürlich verändert man bestehende Denkmuster nicht über Nacht. Aber die Richtung stimmt. Nach einer gewissen Zeit legen sich Vorsicht und Zweifel, der Mut, selbst zu entscheiden, nimmt zu.

Nach 29 Jahren wieder ein Zweifel an der Unternehmensspitze
Im Sommer 2020 öffnete sich eine weitere Karrieretür für Christoph Zweifel. Der langjährige Marketing-Verkaufsdirektor und CEO, Roger Harlacher, entschied sich, die operative Tätigkeit aufzugeben. Christoph Zweifel übernahm die Stafette. Auch hier hätte er seine Kandidatur umgehend zurückgezogen, wenn jemand aus der Familie dagegen gewesen wäre. Für seinen Vater Hans- Heinrich ging ein langersehnter Wunsch in Erfüllung, der ihn mit Stolz erfüllte: nach 29 Jahren endlich wieder ein Nachkomme an der Spitze des Unternehmens. Einmal sagte er zu seinem Sohn: «Jetzt ist doch noch alles so gekommen, wie ich es mir gewünscht hatte.» Im November des gleichen Jahres stirbt der Vater.

Was ist Christoph Zweifel wichtig?
«Ich finde es nicht einfach, mich selbst zu beschreiben. Ich versuche es trotzdem. Ich höre zu und bin offen für Ansichten und Meinungen anderer und lasse mich mit den richtigen Argumenten überzeugen. In meiner Funktion muss ich aber auch oft schwierige Entscheide fällen.» Er würde sich als authentische Person bezeichnen. Er habe ein Gesicht. «Vermutlich bin ich ziemlich bodenständig. Ich lache gerne und habe viel Sinn für Humor. Eine gute Portion Selbstironie habe ich mir angewöhnt, weil es manchmal befreiend ist, über sich selbst zu lachen.» Im Unternehmen wird der Pioniergeist hochgehalten und gefördert. Zweifel schätzt die persönliche Hingabe jedes einzelnen Mitarbeiters. Die Mitarbeiter seien Experten ihres Fachs. Sprichwörtlich hören sie, wenn die Klinge des Kartoffelmessers stumpf wird und es ausgetauscht werden muss. Insofern entspricht der TV-Spot «Ghörsch das – sʼMässer isch stumpf – sʼdritte vo links» durchaus der Realität.

Wo geht die Reise hin? Ein Blick in die Zukunft
Im Rahmen der Strategie wurde ein Programm mit fünfzehn Initiativen verabschiedet. Diese bilden die Basis für die nächsten zehn Jahre. Stossrichtungen sind beispielsweise der langfristige Erhalt des Standortes Schweiz und das wichtige Thema Nachhaltigkeit. Die Strategie ist sehr breit abgestützt, ein grosser Teil des Managements trägt viel zum Gelingen bei. Nachdem die Stossrichtung im letzten Jahr erarbeitet wurde, geht es nun daran, die Strategie umzusetzen und die ganze Breite der Mitarbeiter dazu abzuholen und darin zu involvieren.

Ein persönlicher Wunsch
«Die Übernahme meiner neuen Funktion als Geschäftsführer während einer weltweiten Pandemie war eine grosse Herausforderung. Seit einigen Monaten herrscht unweit von hier Krieg – ich hoffe, dass sich diese Situation bald normalisiert, und wünsche mir, Geschäftsführer in einer Welt ohne Ausnahmezustand sein zu dürfen.»

Familientradition: Christoph Zweifel leitet das Familienunternehmen in der dritten Generation.

Thomas Breitinger

Thomas Breitinger ist 1960 geboren und bilingue (deutsch/französisch). Er blickt auf über zwanzig Jahre Erfahrung im Konsumgüterbereich zurück. In seinen Funktionen leitete er Projekte in den

Bereichen Markenführung, Strategie, Positionierung und Verkauf, unter anderem während zehn Jahren für Nestlé Schweiz. Seit 2006 ist Thomas Breitinger Inhaber und Geschäftsführer der Agentur BrandPartner AG mit nationalen und internationalen Kunden.