Vierzehn Fragen an Arnold Furtwaengler

Wer kennt sie nicht: die Marken Ovomaltine, Caotina, Isostar oder Twinings. Fulminante Markenentwicklungen. Sie kommen aus dem Hause Wander. Arnold Furtwaengler leitet die Geschicke seit 25 Jahren. Was treibt ihn und sein Team an? «The secret behind» und warum der Ovomaltine-Brotaufstrich auch in Indonesien heiss begehrt ist.

Interview: Thomas Breitinger, Geschäftsführer BrandPartner AG
Bilder: zVg

Herr Furtwaengler, Ihr Schweizerdeutsch enthält eine Prise «British accent». 1Wie sind Sie aufgewachsen?

Sie hören es richtig. Meine Mutter ist Holländerin, mein Vater Schweizer. Er reiste gerne und war bei Sulzer als Ingenieur tätig. Er arbeitete in der ganzen Welt an den unterschiedlichsten Orten. So kommt es, dass ich in Japan geboren wurde und meine Kindheit in Japan, Kalifornien und England verbrachte. Natürlich hat mich dies geprägt. Auch ich reise sehr gerne und schätze den kulturellen Reichtum der Welt. Diversität bringt neue Sichtweisen und bereichert mein Leben. So erklärt sich mein gefärbtes Schweizerdeutsch.

Spielten Marken in Ihrer Jugend eine Rolle? Welche Marken mögen Sie heute besonders?

Ich erinnere mich an ein Erlebnis aus meiner Jugend: Es war der Tag, als mein Vater eine Swatch nach Hause brachte. Er präsentierte sie uns mit grosser Begeisterung. Die Swatch war ganz anders als alle Uhren, die ich bisher kannte. Sie brach mit Konventionen. Ein Gehäuse aus farbigem Kunststoff statt Edelmetall. Regelmässige Kollektionen, «a piece of fashion» statt einer Uhr fürs Leben. Die Swatch verkörpert ein modernes Stück Schweiz, überraschend preiswert und zuverlässig. Ich liebe Produkte, die mit Regeln und Konventionen brechen. Vielleicht schätze ich deshalb meinen Retro-Mini in «British Racing Green». Das Auto bringt Farbe in meinen Alltag, pure Lebensfreude! Eigentlich ist es mir unverständlich, weshalb so viele Autos in Schwarz, Grau oder Weiss gekauft werden.

Wie sind Sie in die Lebensmittelbranche gekommen?

Ich studierte Betriebswirtschaft an der HSG St. Gallen. Im Abschlussjahr verlor ich meinen Regenschirm. Am nächsten Tag machte ich mich auf den Weg zum Fundbüro der Uni. Ich kam an einem Anschlagbrett vorbei, auf dem ein Inserat meine Aufmerksamkeit erregte: Gesucht – Junior Manager Trainee, Jacobs Suchard, Neuchâtel. Drei Dinge schossen mir durch den Kopf: See, Schokolade und die Abenteuer des Charlie Bucket. Das Buch «Charlie and the Chocolate Factory» hatte ich mindestens fünfmal gelesen. Kopf und Herz sagten: «Yes, that’s it!», und so bewarb ich mich umgehend. Allerdings stellte ich eine Bedingung: Vor dem Stellenantritt wollte ich unbedingt ein Studienjahr in Paris einschalten, um mein Französisch auf akzeptables Niveau zu heben. Natürlich war das ein wenig gewagt, denn bestimmt gab es weitere Bewerbende. Aber ich hatte Glück. Jacobs Suchard bot mir den Trainee-Job für das Folgejahr an. In Paris studierte ich Psychologie und moderne Kunst. Es wurde ein wunderbares Jahr.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Jacobs Suchard?

Nach dem Aufenthalt in Paris fand ich eine Wohnung in Auvernier, nicht weit von Neuenburg. Das Leben am Jurasüdfuss, der See und die Lockerheit der Romands gefielen mir sehr. In dieser Zeit durchlief ich alle Abteilungen bei Jacobs Suchard, lernte Menschen und Firmenkultur kennen. Ich war begeistert von der Firmenkultur. Wir wurden gefördert und gefordert. So durften wir bereits als Junge viel anpacken und viel mitbestimmen. Sicher machten wir – zum Glück meistens im Kleinen – viele Fehler. Dafür haben wir umso schneller auch viel gelernt. Nach meinem Training in verschiedenen Abteilungen erhielt ich das Einstiegsticket ins Marketing. Zuerst war ich für Toblerone zuständig und kurz danach auch noch für Milka. Intern galt das Motto «Lila über alles», und es wurde eine ganz grosse Anzahl Produkte lanciert! Aber leider waren wir mit der Farbe Lila nicht ganz so erfolgreich wie in Deutschland. Dafür haben wir umso mehr gelernt und anschliessend Toblerone priorisiert.

Wie lange waren Sie bei Jacobs Suchard tätig?

Nach fünfeinhalb Jahren erwachte meine Reiselust aufs Neue. Mein Ziel war das Kaffeegeschäft von Jacobs Suchard in Vancouver. Ich äusserte diesen Wunsch, wurde aber immer wieder vertröstet. So musste die Veränderung auf andere Weise zustande kommen.

Und die kam dann mit dem Wechsel zu Bahlsen zustande?

Genau, ich hatte bei Bahlsen (heute Wernli) einen Job als Key Accounter angeboten erhalten und bin mit meiner Familie von Neuchâtel nach Oftringen gezogen. Das war nicht gerade Vancouver, aber immerhin sehr zentral gelegen! In dieser Zeit konnte ich sehr viele Erfahrungen an der Front sammeln. Am meisten habe ich vom damaligen Einkäufer von Jumbo gelernt. Er hat mit einem verschmitzten Lächeln gesagt: «Furtwaengler, ich zeige dir, wie es wirklich läuft.» Die Erfahrungen unten im Laden Dietlikon waren Gold wert!

1997 erfolgte der Wechsel zu Wander. Wie kam er zustande?

Wie so oft im Leben spielten Netzwerk, Zeitpunkt und ein bisschen Glück eine Rolle, gepaart mit Zufall. Mein ehemaliger Vorgesetzter bei Jacobs Suchard, Martin Stefani, zu dem ich immer einen guten Draht hatte, kontaktierte mich für die Position Marketingleiter Schweiz. Das war, auch im Kontext meines damaligen Alters, ein sehr attraktives Angebot, und ich sagte zu. Wander war damals eine Tochter von Novartis mit Verwaltung in Bern und Produktion in Neuenegg (Anmerkung: Der Verkauf an Associated British Foods fand 2002 statt).

Wie stand es damals um die Marke Ovomaltine?

Das Ovomaltine-Geschäft war in Rücklage geraten. Das Pulver dominierte die Verkäufe mit einem Anteil von 80 Prozent. Das Sortiment bestand aus gerade mal sieben Produkten, von denen zwei auf der Kippe standen. Folgende Fakten lagen auf dem Tisch:

  • Die Konsumgewohnheiten veränderten sich: Das klassische Frühstück war auf dem Rückzug, der on the go Konsum auf dem Vormarsch.
  • Die Frühstücks-Cerealien drängten auf den Tisch und bedrängten die Ovomaltine.
  • Der Kommunikations-Slogan «Häsch dini Ovo hüt scho gha» war nicht mehr zeitgemäss. Marktforschungen zeigten, dass die junge Generation den Slogan als Bevormundung interpretierte im Sinne von: «Ich lasse mir nicht von meinem Mami vorschreiben, was ich zu trinken habe.»

Zudem galt in der Geschäftsleitung die Sichtweise, es sei zu vermarkten, was man produziere. Ich dagegen vertrat die Meinung, es sei zu produzieren, was der Markt wünsche. Damit schuf ich mir kurzfristig keine Freunde. Zum Glück war ich mit Martin als Chef und Unterstützung von Erland aus dem Verkauf (Anmerkung: Erland Brügger ist heutiger Geschäftsleiter von Rivella) und einem kämpferischen Brandmanagement-Team nicht allein! Letztlich waren die Diskussionen fruchtbar, und der Paradigmenwechsel stellte sich langsam ein.

Ovomaltine-Plakat von 2003 mit bekanntestem Slogan aller Schweizer Marken (Link-Studie).

Welche Änderungen brachte der Paradigmenwechsel? Und was waren die Schwerpunkte der Marketingaufgabe?

Bei der Kommunikation war uns klar, dass wir einen grösseren Sprung machen mussten. Wir mussten uns von unserer «Häsch dini Ovo hüt scho gha»-Vergangenheit klar lösen. Unsere damalige Werbeagentur (Young & Rubicam) kreierte den neuen Slogan «Mit Ovomaltine kannst du’s nicht besser. Aber länger». Früher hätte man sicher gesagt: «Dank Ovo wirst du besser, stärker, schneller.» Die neue Tonalität war bewusst gewählt. Wir nahmen uns nicht so wichtig. Mit der neuen Kommunikation im Rücken konnten wir das Thema der richtigen Angebotsformen angehen. Das Portfolio haben wir sukzessiv umgekrempelt mit einer klaren Ausrichtung auf die veränderten Konsumentenbedürfnisse. Von einem Verhältnis von 80 zu 20 bei Pulver vor 25 Jahren auf heute 20 zu 80. Jetzt dominieren die Nicht-Pulver-Produkte. Angefangen hat die Reise mit der starken Priorisierung des Ovomaltine-Getränks für unterwegs (Ovomaltine Drink) und dem Ausbau des Sortiments im Frühstücksbereich (Crisp Müsli und Crunchy Cream). Anschliessend kam mit den vielen Snacks, wie beispielsweise Ovomaltine Crunchy Cream Rolle und Ovo Rocks, der Ausbau für «Energy on the go». In den letzten 25 Jahren ist die Ovomaltine-Familie sehr stark angewachsen. Über dreissig neue Ovomaltine- Produkte kamen auf den Markt. Und die allermeisten haben sich gut etabliert. Die neuen Produkte haben enorm zum starken Wachstum von Ovomaltine beigetragen.

Der Fall Ovomaltine Crunchy Cream gilt auch als Erfolgsbeispiel für den Standort Schweiz, wie ist das passiert?

Als wir die Idee hatten, einen knusprigen Brotaufstrich zu entwickeln, fanden wir leider keinen Schweizer Hersteller. Fündig wurden wir im «zweitbesten Schoggiland» Belgien. Nach zehn Jahren fanden wir, dass wir die kritische Grösse hätten, um das Produkt selbst herzustellen. Meine Vorgesetzten in England fanden die Idee auch nicht uninteressant. Aber sie konnten ihren Ohren nicht trauen, als wir vorschlugen, Crunchy Cream im «Hochpreisland» Schweiz herzustellen. Die Reaktion lautete: «Arnold, but seriously not in the most expensive country in Europe.» Da wurde natürlich mein Sportgeist angestachelt! Nach etlichen Standortstudien fiel der Entscheid aus folgenden Gründen letztlich doch auf die Produktion in Neuenegg:

  1. Hoch qualifizierte und motivierte Mitarbeitende, begünstigt durch das duale Bildungssystem in der Schweiz
  2. Hervorragendes lokales Know-how durch jahrzehntelange Erfahrung am Standort Neuenegg
  3. Starke Automatisierung der Linie und Synergien zur Produktion von Ovomaltine Pulver (Pulver beziehungsweise Granulat machen einen Drittel des Produkts aus)

Wir erhielten grünes Licht und investierten über 10 Millionen in eine neue Technologie. Seit 2016 produzieren wir Ovomaltine Crunchy Cream für die ganze Welt in der Schweiz. Aktuell sind es 6000 Tonnen pro Jahr, und wir wachsen weiter zweistellig. Darauf sind wir stolz.

Seit über hundert Jahren dominiert die Farbe Orange auf Ovomaltine-Verpackungen. Diese ist für Nahrungsmittel nicht besonders geeignet. Haben Sie Orange nie infrage gestellt?

Ihre Frage überrascht mich ein wenig, schliesslich sind Sie ja der Spezialist für Verpackungsdesign! Aber die Leserinnen und Leser könnte die Frage schon interessieren (schmunzelt). Wassily Kandinsky erklärte es mal so: «Orange ist der Menschheit durch Gelb nähergebrachtes Rot.» Ich mag diese Erklärung, auch wenn sie nicht der Grund ist für die jahrzehntelange Nutzung der Farbe Orange. Orange ist eine leuchtende Farbe. Sie fällt auf. Das hilft uns im Regal und in den Kategorien enorm. Ovomaltine-Produkte «springen einem ins Auge». Das Brand-Logo verstärkt die Strahlkraft zusätzlich durch die gelbe Sonne und den dynamisch- blauen Ovomaltine-Schriftzug. Unsere Markenpersönlichkeit enthält die Werte Lebensfreude, Natürlichkeit, Gesundheit und Energie. Das Ovomaltine-Verpackungsdesign unterstützt diese Werte optimal. Darüber hinaus möchte ich hier eine Lanze brechen für die Bedeutung des Mediums Verpackung generell. Ich betrachte sie als zentrales Element der Kommunikation. 365 Tage im Jahr kommuniziert die Verpackung die Markenkernwerte im Regal, auf dem Frühstückstisch oder «on the go». Bei den regelmässigen Aktualisierungen des Verpackungsdesigns schauen wir sehr genau hin, was wir aus welchen Gründen verändern. Mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden prüfen wir das rationale und emotionale Verständnis der Designinhalte. Dies verlangt viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl, manchmal auch Kompromissbereitschaft, besonders wenn das Design in mehreren Ländern funktionieren soll. Aber das kennen Sie ja bestens … (Anmerkung: Seit 2006 entwickelt Thomas Breitinger mit BrandPartner die Verpackungsdesigns für die Marken Ovomaltine und Caotina).

Vermutlich gäbe es noch viel über Ovomaltine zu berichten. Nun lassen Sie uns über Caotina reden.

Caotina ist eine wunderbare Marke mit einer wunderbaren Geschichte. «Erst» 1963 lanciert und nach zwanzig Jahren mit unter 1 Prozent Marktanteil fast vom Markt wieder verschwunden! Dominiert haben den Markt damals Nesquik und Suchard Express. Caotina unterschied sich zu wenig von den Mitbewerbern, die alle um die Gunst der Kinder buhlten. Das Image war zu wenig geschliffen, zu wenig einzigartig. Erst als die Marke konsequent auf eine eigenständige Positionierung setzte, auf höchsten Genuss mit echter Schweizer Schokolade für Geniesserinnen und Geniesser, ging es langsam wieder aufwärts. Zuerst im Food-Service und dann auch im Lebensmittelhandel war Caotina vor 25 Jahren immer noch erst bei 6 Prozent Marktanteil. Heute liegt Caotina mit 26 Prozent Marktanteil als Nummer zwei hinter Ovomaltine. Im Food-Service ist Caotina sogar vor Ovomaltine die Nummer eins! Herzstück der Caotina-Kommunikation ist ganz klar das Verpackungsdesign. In enger Zusammenarbeit mit unserer langjährigen Verpackungsagentur wurde das Design stets weiterentwickelt.

Wie sind Sie im Ausland mit Ihren Marken vertreten?

Wir sind vor allem mit Ovomaltine, angeführt von Ovo Crunchy Cream, gefolgt von Caotina im Ausland erfolgreich. In Europa ist Deutschland unser grösster Wachstumsmarkt. Seit 2020 sind wir mit dem eigenen Team unterwegs. Aber manchmal ist uns das europäische Spielfeld zu klein, und wir wagen es in neue Märkte im Mittleren und Fernen Osten. Dazu folgende Anekdote: Über die sozialen Medien erreichten uns Anfragen für Lieferungen von «unserem Brotaufstrich » Ovomaltine Crunchy Cream nach Indonesien. Wir wunderten uns darüber, weil in Indonesien doch kaum Brot gegessen wird. Bis wir herausfanden, dass zwar wenig Brot, jedoch viele süsse Pancakes gegessen werden. Wir begannen, Ovomaltine Crunchy Cream nach Indonesien zu exportieren. Wegen der tiefen Kaufkraft verglichen mit der Schweiz erwarteten wir keine allzu grossen Umsätze. Es war eher die Freude an der Sache. Doch der Einsatz lohnte sich. Ein lokaler Distributor schaltete sich ein, und heute, vier Jahre nach der ersten Lieferung, realisieren wir 3 Millionen Franken Umsatz mit Ovomaltine Crunchy Cream im fernen Indonesien!

Wenn ich Ihnen so zuhöre, klingt alles logisch und einfach. Doch die Realität ist meist komplexer, und auf dem Weg zum Gipfel gibt es unerwartete Steinschläge oder Wetterumbrüche. Ein Sportlerherz allein genügt nicht, oder?

Ja, da haben Sie natürlich recht. Und trotzdem ist ein Sportlerherz eine gute Voraussetzung (lacht). Die Herausforderungen kann man aber nur als Team erfolgreich meistern. Die Grundlage des Erfolgs sind die Stärke und die Einstellung jedes Einzelnen und auch die Art, wie wir als Wander United mit viel Leidenschaft und Spielfreude zusammenspielen. Deshalb sind mir Gruppendynamik und Teambuilding wichtig. Aus der Wander- Belegschaft wurde Wander United, ein dynamisches, schlagkräftiges Fussballteam. Die Vision lautet: «Jeder Europäer geniesst täglich seine Wander-United-Lieblingsmarke.»

Arnold Furtwängler

Arnold Furtwaengler ist seit einem Vierteljahrhundert bei Wander und seit 2011 als CEO zuständig.