Marken persönlich genommen: Learnings von Lars Wallentin für die Zukunft der Verpackung

Lars Wallentin war vier Jahrzehnte lang (von 1964 bis 2003) bei Nestlé für die Entwicklung und das Design von Verpackungen zuständig. Der gebürtige Schwede starb vergangenen Sommer im Alter von 79 Jahren. Was kann unsere Branche postum vom «Elder Statesman of Packaging» lernen? Erinnerungen und Vorschläge von Thomas Breitinger.

Interview: Patrick Frei
Bilder: BrandPartner, Christiane Wallentin

Herr Breitinger, wie war Lars Wallentin?
Lars war «mordu de l’emballage», ganz beseelt von der Aufgabe, das Optimum aus der Produktverpackung herauszuholen. Und dies mit den einfachsten Mitteln, die sowieso zur Anwendung kommen: der Gestaltung, dem Packaging-Design. Auf diesem Gebiet machte ihm niemand etwas vor. Lars spürte jede Schwachstelle auf und stellte sie an den Pranger. Aber er war bei aller Kritik immer sachbezogen, lösungsorientiert, frei von Allüren, nahbar und auf weltmännische Weise umgänglich. Man konnte an der Kaffeemaschine an ihn herantreten und ihn in ein Gespräch verwickeln, auch wenn man nur ein junger Product Manager war, wie ich damals bei Nestlé.

War er der «Verpackungsguru» von Nestlé?
Lars war das Gegenteil eines Gurus. Er wollte kein fügsames Gefolge, sondern Menschen, mit denen er diskutieren konnte. Oberste Norm war für ihn der gesunde Menschenverstand, der Common Sense. Seinem «Alterswerk», einem Blog, gab er den Namen «Packaging Sense». Was macht Sinn auf der Verpackung? Was weniger? Wo kippt das Ganze ins Unsinnige, zum Beispiel durch einen Overkill von Botschaften? Der ganze Nestlé-Nachwuchs hat von Lars Wallentin viel lernen dürfen, in internationalen Weiterbildungsseminaren, von denen ich noch heute zehre.

Trotzdem haben Sie Nestlé schon nach acht Jahren verlassen.
Acht Jahre sind nicht wenig. Nachdem ich in drei Divisionen und an drei Standorten – in Vevey, in Wangen bei Olten und in Basel – tätig gewesen war, fühlte ich mich flügge und verliess das wärmende «Nestlé».

Was haben Sie von Nestlé mitgenommen?
Viel «Big Picture», den Blick fürs Ganze, die internationale Orientierung, einen geschärften Sinn für globale Gemeinsamkeiten und kulturelle Nuancen. Entsprechend ist auch unsere Agentur aufgestellt, die ich zusammen mit Kerstin Gimenez führe. Unsere Kreativchefin hat eine ausgesprochen internationale Biografie und ist in den Elsässer Supermärkten so zu Hause wie wir bei Coop, Migros, Denner, Globus.

Und was können Sie von Lars Wallentin weitergeben?
Eine ganze Menge. Zunächst einmal die simple Botschaft, die Verpackungsaufgabe wichtig zu nehmen. Zeit dafür einzuplanen und Ressourcen dafür bereitzustellen. Denn wie die Verpackung im Verkaufsregal wirkt und wie sie im Alltag der Konsumenten – als Ovomaltine beim Zmorge oder als Duschmittel im Badezimmer – wahrgenommen wird, ist ein Faktor, der über den Absatz eines Produktes mitentscheidet, dafür gibt es Belege. Packaging kann mehr als verpacken. Packaging muss verkaufen.

Wird Packaging-Design zu wenig wichtig genommen?
Teilweise. Der New-Product-Development-Prozess ist eben kräfteraubend komplex geworden und der Marketingmix sehr anspruchsvoll. Oft wird erst in einer späten Phase daran gedacht, das Ding auch noch zu verpacken. Schlimmstenfalls schiebt man die Verpackungsaufgabe auf eine niedrige Hierarchiestufe, wo das Gespür, die Erfahrung und die Entscheidungskompetenz fehlen.

Eine weitere Lernerfahrung für die Branche?
Verpacken heisst reduzieren. Keine leichte Aufgabe bei unserer Dreisprachigkeit, zunehmenden gesetzlichen Vorgaben und allerlei Wünschen der Marketingabteilung. Da ist es wichtig, eine strategische Guideline im Kopf zu haben wie die von Lars Wallentin: «A strong brand has a unique identity.» Denn als eine Verkörperung der Marke macht sich die Verpackung an deren Identität zu schaffen. Wobei wir im Zeitalter der beschleunigten Digitalisierung von einem dynamischen Identitätsbegriff ausgehen müssen.

Wie ist das zu verstehen?
Per Analogie: Marken entwickeln sich wie Persönlichkeiten. Ein identischer Kern bleibt bestehen, es ist die Seele der Marke. Aber auf der Zeitachse ereignet sich viel Anpassung, Entwicklung, Reifung. Sorgfältiges Packaging-Design stellt sicher, dass Marken in Würde altern statt verstauben. Oder sich im Gegenteil neu erfinden und massiv verjüngen. Ich will nicht auf der Analogie oder dem Identitätsbegriff herumreiten, wichtig ist nur: Packaging-Design darf nicht auf der grafischen Oberfläche kleben, sondern muss strategische Tiefe haben.

Gegen Ende seiner Karriere schrieb Lars Wallentin über «Packaging Communication».
Ja, fast prophetisch! Die Verpackung hat zunehmend kommunikative Funktionen zu übernehmen, weil kein Kommunikationsbudget vorhanden ist oder ein viel zu kleines. Das kann bedeuten, dass das Visual der Verpackung so stark, so plakativ, so eingängig sein muss wie ein Bild auf der Plakatwand, was uns bei der Produktinnovation «Ovo Rocks» recht gut gelungen ist. Packaging kann mehr als verpacken, es macht auch Werbung.

Was für weitere Trends und Themen beschäftigen Sie?
So einige. Uns interessiert zum Beispiel der Impact der Digitalisierung auf das Packaging-Design. Eine Verpackung muss sich zunehmend in zwei Welten bewegen, online wie offline. Was für Konsequenzen dies für das Packaging-Design hat, ist noch kaum abzusehen. Klar ist nur, dass wir am Anfang eines Transformationsprozesses stehen und uns im Trial-and-Error-Modus vorwärtsbewegen.

Weitere Herausforderungen?
Ein sehr spannender Trend im Packaging-Design ist das Aufblühen der Eigenmarken, vor allem im Food-Bereich. Praktisch hundert Jahre lang haben die klassischen Markenartikel den Ton angegeben. Die Verpackungen der Eigenmarken von Coop, Migros, Denner, Manor und so weiter waren im Vergleich nur rudimentär bis austauschbar gestaltet. Inzwischen haben die Eigenmarken mächtig aufgeholt und setzen einige klassische Marken unter Zugzwang. Diese Situation hat unsere Agentur schon mehrfach intensiv beschäftigt.

Ganz allgemein: Wo geht die Reise hin im Packaging-Design?
Zielgruppen, Märkte, Marketing: Wo wir hinschauen, sehen wir Differenzierung und Fragmentarisierung, zusätzlich beschleunigt durch die Digitalisierung. Angesichts dessen muss das Packaging-Design vermehrt interdisziplinär funktionieren. Das heisst agenturseitig: Die beteiligten Spezialisten für Branding, Design, Kommunikation, Web, Social Media und so weiter müssen ihre Scheuklappen ablegen und sich für die Dauer eines Projektes in einem interdisziplinären Team zusammenraufen. Was auf Auftraggeberseite ebenfalls ein Umdenken erfordert. Aber dazu vielleicht mehr in einem nächsten Beitrag.

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Thomas Breitinger

Thomas Breitinger ist 1960 geboren und bilingue (deutsch/französisch). Er blickt auf über zwanzig Jahre Erfahrung im Konsumgüterbereich zurück. In seinen Funktionen leitete er Projekte in den

Bereichen Markenführung, Strategie, Positionierung und Verkauf, unter anderem während zehn Jahren für Nestlé Schweiz. Seit 2006 ist Thomas Breitinger Inhaber und Geschäftsführer der Agentur BrandPartner AG mit nationalen und internationalen Kunden.