Eigenmarke versus Produzentenmarke: der Verdrängungskampf als Stimulus für Branding und Design
Die Eigenmarken-Strategie von Coop verdränge die Produzentenmarken, verlautet es im Umfeld des Verbandes Promarca; es tobe ein «brutaler Wettbewerb» in den Verkaufsregalen, ein «Kampf um Zentimeter». Zu kurz gegriffen, meint Thomas Breitinger. Seine Agentur arbeitet für beide Seiten, Industrie und Handel.
Herr Breitinger, Eigenmarke versus Produzentenmarke, wo stehen wir aktuell?
Aktuell hat Coop einen Eigenmarkenanteil von 55 Prozent und hat angekündigt, diesen auf 60 Prozent erhöhen zu wollen, was der Markenartikelindustrie Sorgen macht. Migros und Aldi haben Eigenmarkenanteile von 90 Prozent. Durchschnittlich liegt der Eigenmarkenanteil im Schweizer Detailhandel bei stolzen 52 Prozent.
Das ist internationale Spitze. Die Schweiz, ein Land der Eigenmarken?
Ja und nein. Der hohe Eigenmarkenanteil hat einerseits einen historischen Grund. Er geht wesentlich auf das Konto der Migros, die seit den Dreissigerjahren ein immenses Eigenmarkensortiment aufgebaut hat. Andererseits ist die Konsumgüter-Schweiz aber auch ein starkes Markenland, ich nenne nur Ovomaltine, Ricola, Toblerone, Victorinox. Die Schweiz ist traditionell in beiden stark, in Eigenmarken und in Produzentenmarken. Und die ticken völlig unterschiedlich.
Wie ticken Produzentenmarken?
Langfristig. Produzentenmarken sind das Ergebnis einer langen Aufbauarbeit über Jahrzehnte, zum Teil hundert Jahre. Sie besitzen historisch gewachsene Markenidentitäten. Sie basieren auf einer innovativen Grundidee und teilen gemeinsame Grundwerte wie Vertrauen, Qualität, Authentizität und Swissness. Sie navigieren wie Ozeandampfer auf hoher See, reagieren träge auf Manöver und Kurswechsel. Produzentenmarken führt man am besten in Form regelmässiger Justierungen. Alle paar Jahre empfiehlt sich ein behutsames Packaging-Redesign.
Und Eigenmarken?
Die Markenführung ist verknüpft mit der Sortimentspolitik. Eigenmarken segeln mehr auf den Wellen der Trends. Es ist eine andere Denkweise. Eigenmarken schöpfen weniger aus der Langfristigkeit. Die Führung der Eigenmarke ist letztlich genau so anspruchsvoll wie die Führung der Produzentenmarke. Diese Unterschiede muss man berücksichtigen, wenn man über Eigenmarken nachdenkt und darüber, dass sie klassische Labels in die Defensive treiben. Eigenmarken ticken wie der Handel. Produzentenmarken ticken wie die langfristig denkende Markenartikelindustrie.
Gegenbeispiel: Die Coop-Eigenmarke Natura- plan ist doch ein klassischer Brand, seit 26 Jahren.
Die Ausnahme bestätigt die Regel. Coop Naturaplan war die erste Biomarke im Schweizer Detailhandel. Wenn wir sie analysieren, erkennen wir eine klare und distinkte Markenpositionierung sowie ein strategisch langfristiges, kommunikativ aufwendig begleitetes Branding, wie wir es aus der Markenartikelindustrie kennen. Coop Naturaplan tickt wie eine klassische Produzentenmarke.
Sie hat quasi das Lager gewechselt?
Ich sehe es mehr als einen fliessenden Übergang. Wie man aus der Konsumentenforschung weiss, landen in ein und demselben Einkaufskorb zunehmend sowohl Brands als auch Eigenmarken. Der Unterschied Brand/ Eigenmarke verliert an Bedeutung.
Ist das für die Markenartikelindustrie eine schlechte oder eine gute Nachricht?
Gehen wir vom «Siegeszug der Eigenmarken» aus, den die Fachmedien reihum beschwören. Es begann mit den «white labels» für billige Produkte mittelmässiger Qualität. Dann knöpfte sich der Handel führende Produzentenmarken vor, um sie frech zu imitieren. Diese Phase hatte in den Neunzigerjahren ihre Blütezeit. Mittlerweile fluten die Eigenmarken auch die Regale der Premiumprodukte. Eigenmarken bilden einen sehr kompetitiven und schnellwüchsigen Markt auf allen Ebenen: Preiseinstieg, Standard, Premium. Entwickelt in Westeuropa, exportiert in den ehemaligen Ostblock, erfassen Eigenmarken aktuell Russland, Südafrika, Indien und ganz Asien.3 Der Tsunami der Eigenmarken ist global, blitzschnell und wahrscheinlich irreversibel.
Also «bad news»?
Was hilft es der Markenartikelindustrie, zu klagen? Sie soll die Herausforderung durch die Eigenmarken annehmen und es besser machen! Und im Blick auf die zunehmende Nivellierung zwischen Produzentenmarken und Eigenmarken sind wir alle gut beraten, ein altes Vorurteil über Bord zu werfen.
Welches Vorurteil?
Ich meine das weit verbreitete Herabschauen auf die Eigenmarken. Sogar unserem Team kann es passieren, dass wir Produzentenmarken primär mit Produzentenmarken vergleichen und dann hinzufügen: «Und daneben wären dann noch die Eigenmarken von Aldi, Migros, Coop.» So als zählten die Eigenmarken nicht zum engeren Kreis der Marken. Als fehle ihnen die höhere Weihe eines echten Brands.
Aber viele Eigenmarken wirken doch wie Abklatsche echter Marken.
Ja, man sieht viele Schwächen im Design, im Naming und in der Verpackung von Eigenmarken. Aber seien wir ehrlich: Solche Schwächen kann man auch auf einigen Markenartikeln entdecken. Vor allem aber: Diese Schwächen sind korrigierbar! Sie wohnen dem Wesen ei- ner Eigenmarke nicht inne. Jedes Produkt lässt sich anständig verpacken. Jede Eigenmarke lässt sich im Packaging-Design wie eine Produzentenmarke behandeln, es ist nur eine Frage des Willens und der Prioritäten, die das Brand- und das Sortimentsmanagement setzen. Auch Eigenmarken sind fähig, Charisma, Originalität und Vertrauenswürdigkeit zu entwickeln. Alle diese Kostbarkeiten haben «echte» Marken nicht für sich gepachtet. Sie haben darin nur mehr Erfahrung.
«‹A strong brand has a unique identity›, sagte mein Lehrmeister bei Nestlé, Lars Wallentin.
Was also empfehlen Sie der Markenartikelindustrie?
Den Verdrängungskampf sportlich zu nehmen. Den Kampf um den Platz im Regal gab es schon immer und wird es immer geben, egal, wie gross die Regale sind. Das Grundproblem liegt nicht in der Eigenmarkenstrategie der Grossverteiler. Es liegt a) im Preisvorteil der Eigenmarken und b) in der allgemein sinkenden Markentreue. Auf dem realen oder geistigen Einkaufszettel dominieren immer noch die bekannten Produzentenmarken, sagen wir zum Beispiel: Wernli-Guetzli und Nespresso-Kapseln. Aber am Regal hält das keinen Konsumenten davon ab, gelegentlich oder immer öfter zur Nespresso-kompatiblen Alternative oder zu den hauseigenen Nachahmer-Guetzli zu greifen.
Wie will man der sinkenden Markentreue entgegenwirken?
Vielleicht sucht sich die Markentreue nur neue Ausdrucksformen. Millennials leben Treue anders als frühere Generationen. Sie informieren sich gründlicher und kritischer über Marken, Produkte und Firmen. Sie lassen sich bei Kaufentscheidungen stark von Freunden und sozialen Kontakten beeinflussen. Vielleicht muss manche Marke im Blick auf die kommende Zielgruppe wieder schärfer, deutlicher und offener kommunizieren, was sie ist, wofür sie steht und was sie verspricht. Auch auf der Verpackung, aber nicht nur dort, überall.
Identität, Werte, Nutzen?
Genau. Wobei die Identität das Fundament legt. «A strong brand has a unique identity», sagte mein Lehrmeister bei Nestlé, Lars Wallentin. Die Frage ist, was für ein Verfahren und welche Werkzeuge wir anwenden, um die Markenidentität zu fassen, zu entwickeln und zu schärfen. Branding ist ein Handwerk, hat seine Methode, seine Tools.
Was läuft falsch im Branding?
Zu viele Marketingabteilungen intellektualisieren das Branding, mit dem Ergebnis, dass wir uns durch datenschwere Power-Point- Präsentationen klicken, die unzählige verbale Informationen in Sentenzen, Listen und Grafiken wiederkäuen. Es braucht ganze Work- shops, um in diesen Elaboraten die Spreu vom Weizen zu trennen. Und dann ist erst die Basis geschaffen, um sich mit der «unique identity» der Marke beschäftigen zu können.
Wie nähert man sich denn der Markenidentität?
Der akademisch-intellektuelle Zugang gleitet oft ins Technokratische ab. Als Korrektiv braucht es anschauliche, visuell-emotionale Zugänge. Unsere Agentur pflegt eine ausgesprochene Kultur der Visualisierung. Wir betrachten Visuelles und Begriffliches als gleichrangig und kombinieren beides in einer begrifflich-anschaulichen Zuspitzung.
Tun das nicht alle?
Nicht im selben Sinn und Geiste. Für die meisten ist der intellektuelle Zugang der primäre. Sie verwenden Bilder, um Begriffe, Werte, Attribute zu illustrieren. Wir handhaben das anders. Für uns haben Bilder eine eigenständige definierende Funktion, auch unabhängig von begrifflichen Vorgaben. So dass manchmal die Begriffe den Bildern angepasst werden müssen, statt umgekehrt, wie allgemein üblich. Am Ende spielen Begriff und Bild zusammen, es kommt auf die sinnstiftende Kombination an. Aber wir finden es zielführender, wenn begriffliches und visuelles Denken einander auf gleicher Höhe begegnen.
Bilder sind nicht jedermanns Sache. Kann nicht auch Storytelling den verbalen Zugang deintellektualisieren?
Klar, aber was ist übrig geblieben von all den Storytelling-Büchern, Storytelling-Seminaren, Storytelling-weiss-der-Gugger? Herzlich wenig. Nur wenige arbeiten effektiv mit Storytelling. Vielleicht ist es zu anspruchsvoll. Jeder ist empfänglich für den Zauber einer Erzählung. Jeder kennt das «Kino im Kopf» beim Zuhören. Jeder lässt sich gerne von einer narrativen Pointe überraschen. Aber der Brückenschlag von der Story ins Branding fällt dann doch sehr, sehr schwer. Eigentlich schade, denn mit drei Dimensionen – begrifflichem, visuellem und narrativem Denken – multiplizieren sich die kreativen Zugänge und Chancen. Wir als Agentur machen zunehmend gute Erfahrungen damit, Storytelling ins Spiel zu bringen.
Was kann das Packaging-Design im Verdrängungskampf Eigenmarke versus Produzentenmarke ausrichten?
Bei Konsumgütern fallen gemäss allgemein anerkannter Einschätzung 70 Prozent der Kaufentscheide am Regal. Das macht die Gestaltung der Verpackung zu einem eminent kaufentscheidenden Faktor. Hinzu kommen weitere Faktoren wie Qualität, Leistung, Preis und vor allem Image. Man darf nie vergessen, dass Produzentenmarken 20 bis 100 Prozent teurer sind als Eigenmarken. Die Frage ist: Was motiviert den Shop- per, zum teureren Produkt zu greifen? Es muss ihm einen funktionalen, emotionalen oder sozialen Mehrwert oder Zusatznutzen bringen. Zum Beispiel mag man sich im All- tag mit der günstigen Eigenmarke begnügen, aber als Geschenk oder wenn Gäste kommen, will man kein soziales Risiko eingehen und präsentiert den klassischen Markenartikel. Egal, was für ein Zusatznutzen: Das Branding muss ihn messerscharf einkreisen, verdeutlichen, einprägen. Und das Packaging-Design muss ihn stimmig visualisieren. Hier müssen manche Produzentenmarken aufpassen, dass ihnen die Eigenmarken nicht den Rang ablaufen.
Warum?
Weil der zunehmend mächtige Detailhandel über viel mehr «shopper insight» verfügt als die Markenartikelindustrie. Der Handel hat Zugang zu Real-Time-Informationen über das Konsumentenverhalten in der zu 70 Prozent kaufentscheidenden Situation, am Regal. Der Handel mag diese seine Möglichkeiten viel- leicht noch nicht systematisch ausschöpfen, aber das dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Zudem vermag der Detailhandel generell mehr Sympathien zu mobilisieren.
Sympathien für den Detailhandel?
Aus Befragungen weiss man, was zeitweilige Boykotts von Markenartikeln wie die von Coop gegen Nestlé (2018) oder Mars (2019) bei den Konsumenten auslösen. Die Konsumenten ergreifen prinzipiell eher Partei für den Detailhandel als für den Lebensmittelkonzern, weil sie glauben, dass der Detailhandel konsequent für tiefere Konsumentenpreise kämpfe. Sympathieträger wie Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler oder Denner-Chef Karl Schweri haben virtuos auf dieser Klaviatur gespielt, mit medienwirksamen Robin-Hood-Aktionen, die im kollektiven Gedächtnis immer noch nachwirken. Die Schweizer Konsumenten sind stark pro Eigenmarke eingestellt, das darf die Markenartikelindustrie nicht unterschätzen.