Die Verpackung als Super-Botschafterin ihrer Marke
Thomas Breitinger bricht eine Lanze für die Verpackung. Sie erbringe unzählige Leistungen, an die im digitalen Zeitalter zu wenig gedacht werde. Man müsse der Verpackungsaufgabe wieder eine höhere Priorität einräumen.
Interview: «persönlich»
Bilder: BrandPartner
Herr Breitinger, was macht die Verpackungsaufgabe so wichtig?
Kleider machen Leute. Verpackungen
machen
Marken. Die Zahncreme in der Tube,
das Getränk in der etikettierten Flasche, die
Schoggi in Papier und Alu: Konsumgüter begegnen
uns verpackt und verbleiben im Alltag
auch eine Weile in der Verpackung. Deshalb
mein Credo: Eine gute Verpackung ist
die beste Markenbotschafterin, die sich eine
Marke wünschen kann.
Rennen Sie damit nicht offene Türen ein?
Schön wär’s! Die Verpackung als Botschafterin ihrer
Marke wird allgemein verkannt, obwohl
sie historisch in diese Rolle hineingewachsen
und darin gross geworden ist. Nehmen
Sie die Konservendose: Sie wurde anno
1810 patentiert. Heute werden Jahr für Jahr
gegen 300 Milliarden Dosen produziert und
mit einem Design versehen: eine seit zwei
Jahrhunderten bewährte Verpackungslösung.
Sie funktioniert seit den Anfängen der Industrialisierung
und hat sich nahtlos ins Umfeld
der interaktiven Medien eingefügt. Von
welcher digitalen Lösung wissen wir, ob es
sie in zehn, zwanzig Jahren noch geben wird?
Die Verpackung ist ein Erfolgsmodell.
Was leistet dieses Erfolgsmodell?
Erstens erfüllt die Verpackung eine umfassende
Schutzfunktion. Ich will niemanden
mit Lehrbuchwissen langweilen, aber es ist
schon bemerkenswert, wie heutige Verpackungsmaterialen
Produkte vor Qualitätsverlusten,
Umwelteinflüssen und Verunreinigungen
schützen – mit entsprechenden
Anforderungen an Material, Verarbeitung
und Druck. Zweitens erbringt die Verpackung
wichtige Informations- und Kommunikationsleistungen.
Sie reichen vom Markennamen
bis zur Allergikerinfo. Dabei sind
die CI/CD-Vorgaben ebenso zu berücksichtigen
wie Heerscharen von Vorschriften, lebensmittelrechtlichen
Bestimmungen, Zusatzinformationen
und so weiter. Auf vielen
heutigen Verpackungen herrscht Dichtestress
– oder positiv formuliert: Die Verpackung
ist ein Gesamtkunstwerk der Konzentration.
Wie meinen Sie das?
Vergleiche hinken, aber es will schon etwas heissen, wenn ein Spot zwanzig
Sekunden
Zeit hat, seine Botschaft zu vermitteln, aber
die Verpackung im Regal nur zwei Sekunden.
Und dies auf einem Bruchteil dessen,
was einem Plakat an Fläche zur Verfügung
steht. Heutiges Packaging-Design verlangt
nicht nur profundes Wissen über Verpackungsmaterialien
und Drucktechnologien,
sondern auch die Fähigkeit, auf einem begrenzten
Raum immer mehr Inhalte unterzubringen.
Und das Ganze soll dann auch
noch attraktiver aussehen als bei der Konkurrenz.
Wie wichtig ist die Verpackungsästhetik?
Das hängt von der Kategorie ab. Die Ästhetik
von Waschmittelpackungen funktioniert
nach anderen Regeln als die von Pralinen,
wo Anmutung und «appetite appeal» Mehrwert
schaffen und damit die Kauflust auslösen.
Jedoch gilt, dass Verpackungen nicht
primär schön sein, sondern funktionieren
müssen. Und dies in Sekunden. Die Kürze
der Kaufentscheidung steht in einem umgekehrten
Verhältnis zur Verweildauer im Alltag.
Daran denkt man kaum.
Helfen Sie uns auf die Sprünge.
Die Customer-Journey ist mit dem Kauf ja
noch lange nicht zu Ende. Öffnen Sie bei
sich zu Hause einen Vorratsschrank, schauen
Sie in die Küche, ins Badezimmer! Sie werden
feststellen: Viele Verpackungen haben
eine bemerkenswerte Verweildauer in der
Lebenswelt von uns Konsumenten. Sie bringen
uns visuell, haptisch, emotional unzählige
Male in Kontakt mit der darin verkörperten
Marke. Verpackungen «leben» mit uns
Konsumenten.
Ist das nicht Romantizismus? Die digitale
Customer-Journey endet, wenn ich im Onlineshop
auf «Bestellen» klicke.
Ja, aber schauen Sie die Welt bitte nicht nur
durch die digitale Brille an! Dass Konsumgüter
im individuellen Markenensemble eines
Haushaltes Präsenz haben, dass sie Teil des häuslichen Lifestyles sind und dass familiäre
Markenvorlieben von Generation zu
Generation weitergegeben werden – das
sind alles Realitäten, die sich schliesslich im
messbaren Kaufverhalten niederschlagen.
Sie vertiefen die digitale Customer-Journey
in der analogen Lebenswelt der Konsumenten.
Diese lebensweltlichen Dimensionen
können wir nicht ausser Acht lassen, wenn
wir über Verpackungen nachdenken, speziell
von Konsumgütermarken.
Sehen Sie noch weitere Leistungen
der Verpackung?
Mich faszinieren die experimentellen Fragen
und Funktionen, die mit einer Verpackung
verbunden sein können: Welche Verpackungen
performen im Online-Shop besser als im
Regal? Welche ausländischen Märkte reagieren
wie auf welche Verpackungsdesigns?
Oder denken Sie an Duty-free-Shops in
Flughäfen, wo Sie Verpackungen entdecken,
die Sie in regulären Geschäften niemals finden,
spezielle Grössen, Tourismusverpackungen.
Wie weit lässt sich eine nationale
Verpackungsgestaltung internationalisieren?
Man kann auch von solchen «experimentellen
» Settings einiges lernen und aus
den entsprechenden Verkaufserfolgen oder
-misserfolgen Schlüsse ziehen.
Die Verpackung als Versuchskaninchen?
So würde ich das nicht formulieren. Aber wir
sehen gerade bei Sortimentsausweitungen
wie bei Ovomaltine, dass die Art und Weise,
wie die Verpackungsaufgaben angegangen und gelöst werden, auch experimentelle
Züge tragen kann.
Sie arbeiten seit 18 Jahren für Ovomaltine.
Ja, wir haben zwischen 2002 und 2016 die
Marke Ovomaltine in schrittweisen Redesigns
dem Zeitgeist angeglichen. Zusätzlich
haben wir die immer breitere Line-Extension von der klassischen Ovo zum
Brotaufstrich (2005), zur Glace (2006), zum
Snack und so weiter strategisch und kreativ
mitgetragen. Line-Extensions sind anspruchsvoller,
als eine komplett neue Marke
zu lancieren. So umsichtig eine Ausweitung
von der Marktforschung auch vorbereitet
sein mag – sie ist doch jedes Mal ein Wagnis.
Plötzlich begegnen die Konsumenten einer
gewohnten Marke in einer anderen Kategorie.
Jede Line-Extension dehnt die Marke.
Und es bilden sich komplexe Rückkoppelungseffekte
zwischen Produkt, Marke und
Konsument.
Aber für Sie hat die Verpackung mehr mit
Branding zu tun als mit Umsatzdenken?
Ja, von Aktionsformaten abgesehen, haben
Verpackung und Packaging-Design mehr mit
dem Branding zu tun. Eine klare Brand-
Identity ist die Basis für alles: Verpackung,
Markenführung, Kommunikation, Werbung.
Bevor wir «verpacken», vergewissern wir uns
dieser Basis. Und das gilt auch für andere
Aufgaben, jenseits der Packaging-Designs.
Übrigens: Ich verspreche nie Mehrumsatz
durch ein Redesign. Das wäre gelogen. Mehrumsatz
entsteht durch die verzahnte Wirkung mehrerer Marketinginstrumente (Preis,
VP, Werbung, Wettbewerb). Aber klar, ohne
zeitgemässes Design kann der Marketingmix
seine Wirkung nicht entfalten.
Bindet Sie der Fokus Verpackung nicht an
die Welt der Konsumgüter?
Gar nicht! Vor Kurzem haben wir einen Etat
im Gesundheitswesen gewonnen. Ein Anbieter
altersmedizinischer und pflegerischer
Dienstleistungen legt die Entwicklung einer
zukunftsrelevanten Marketing-Identität in
unsere Hände. Zielgruppe: Babyboomer, die
mittelfristig die Alters- und Pflegeheime bevölkern
und dann wahrscheinlich ganz andere
Ansprüche stellen als alle Generationen
vor ihnen. Eine hochspannende Aufgabe,
fernab von Konsumgüterverpackungen.
Aber man traut sie uns zu, eben weil wir methodisch
überzeugen. Unsere Umsetzungen
fussen immer auf der Basis einer klar herausgearbeiteten
Markenpersönlichkeit.
Wie definieren Sie Brand-Identity?
Identität wird oft mit der Echtheit und dem
sogenannten Ich-Bewusstsein eines Menschen
umschrieben. Ich spreche gerne über
eine eigenständige Persönlichkeit oder die
DNA eines Menschen. Eigenständig, weil
keine Person gleich ist wie die andere: Also
7,5 Milliarden einzigartige, individuelle Persönlichkeiten!
Diese Metapher haben wir in
die Markenführung übertragen und sprechen
von der eigenständigen Markenidentität.
Viele Marken verfügen über einen
jahrzehntealten Stammbaum. In unseren
Branding-Workshops geht es um die Aktualisierung
der Markenidentität im Kontext
von Markenhistorie, gesellschaftlichem Zeitgeist
und Wertewandel. Deshalb «Brand-
Identity» und unser Claim: «Wir kreieren
Identität». Der ist vielleicht nicht sonderlich
sexy, aber auf dem Punkt, weil er ausdrückt,
wie gründlich wir an eine Verpackungsaufgabe
herangehen. Ankerpunkt speziell bei
Redesigns ist immer die Identität einer Marke
in ihrer langfristigen Evolution.
Ginge es nicht auch weniger gründlich?
Was rechtfertigt den Aufwand?
Die Rechtfertigung liegt im Erfolg. Viele erfolgreiche
Schweizer Konsumgütermarken
wie Kambly, Ovomaltine oder Toblerone haben
die Verpackungsaufgabe immer als sehr
wichtig angesehen und die Marke auch über die Verpackung weiterentwickelt – mal konservativer,
mal experimenteller. Das lebendige
Zusammenspiel zwischen Branding und
Verpackung ist bei den Traditionsmarken
mit Händen zu greifen.
Wie kann der Auftraggeber dieses
Zusammenspiel fördern?
Es gibt da einige Aspekte zu erwähnen, ich
kann hier nur das Wichtigste andeuten.
Schauen wir auf die Zeitachse: Der Auftraggeber
sollte die Verpackungsaufgabe frühzeitig
auf dem Radar haben und alle Vorarbeiten
abgeschlossen haben. Das tönt banal.
Aber die Realität sieht häufig anders
aus: Die Agentur soll offerieren und liefern,
obwohl wichtige Parameter noch ausstehen.
Was für Parameter?
Zum Beispiel ist die Endgestalt des Produktes
noch nicht fix oder die Dosierung noch
völlig offen. Je später solche Parameter stehen,
desto weniger Zeit bleibt für Kreation
und Exekution. Und ein ganz wichtiger Parameter
fehlt, wenn der Auftraggeber oder
die beigezogene Agentur beim Naming die
Zügel schleifen lässt. Eltern suchen ja auch
nicht erst kurz vor der Entbindung einen Namen für ihr Kind aus. Sie treffen ihre Entscheidung
lange vor dem Geburtstermin und
identifizieren sich über die Namenswahl mit
dem Wesen, der Persönlichkeit des Kindes.
Diese Identifikation ist wichtig, auch für ein
Produkt, dem wir auf der Verpackung einen
Namen geben.
Weitere Aspekte?
Der Auftraggeber darf die Verpackungsaufgabe
nicht dem Trainee in die Hände legen.
Die Leitung eines Packaging-Design-Projektes
verlangt Entscheidungsfreude und
setzt Gespür und Erfahrung voraus.
Gibt es da ein Manko?
Nicht generell, aber eine häufige Schwierigkeit
liegt darin, die in einer Firma angesammelte
und gespeicherte Markenerfahrung
abzurufen und gemeinsam auf die Verpackungsaufgabe
zu fokussieren. Aus organisatorischen,
zeitlichen oder anderen Gründen.
Was könnte man besser machen?
Man sollte die Hierarchien flach halten und
autonome Projektteams bilden. Das ideale
Team bündelt Markenerfahrung, ein spezifisches
Gespür für Verpackungsfragen und ist
in der Lage, Entscheidungen zu fällen. Erfahrung,
Gespür und Entscheidungskompetenz:
Diese drei Faktoren erhöhen die Effizienz
erheblich und helfen Kosten senken.
Thomas Breitinger
Thomas Breitinger ist 1960 geboren und bilingue (deutsch/französisch). Er blickt auf über zwanzig Jahre Erfahrung im Konsumgüterbereich zurück. In seinen Funktionen leitete er Projekte in den
Bereichen Markenführung, Strategie, Positionierung und Verkauf, unter anderem während zehn Jahren für Nestlé Schweiz. Seit 2006 ist Thomas Breitinger Inhaber und Geschäftsführer der Agentur BrandPartner AG mit nationalen und internationalen Kunden.