Branding ohne Berührungsängste: Tipps aus der Praxis

Agenturwahl? Positionierung? Briefing? Die Markenführung in Zusammenarbeit mit externen Partnern verläuft nicht immer nach Lehrbuch. Erfahrungen aus der Praxis machen deutlich, wo die Gefahren und wo die Chancen liegen.

Erinnern Sie sich noch an den Fall Cailler/ Nelly Wenger im Jahre 2006? Die damalige Chefin von Nestlé Schweiz liess Cailler-Schokolade nach Vorgaben des Star-Architekten Jean Nouvel in eine nicht rezyklierbare, transparente Luxus-Plastikfolie hüllen. Die mit Pomp zelebrierte Neulancierung der Schweizer Traditionsmarke floppte grandios. Die Konsumenten verweigerten sich der Marke, Cailler blieb im Regal liegen. Das mag ein Extrembeispiel sein, aber welches Unternehmen, das sein Branding nicht gänzlich inhouse bewältigen kann, ist völlig gefeit gegen die Risiken und Probleme der Markenführung in Zusammenarbeit mit Externen? Treffen unternehmenseitige Positionierungsschwächen auf ein agenturseitiges Systematisierungsmanko, fehlt schon die Basis für jede weitere Kollaboration. Die Markenführung mit Externen wirft einige Fragen auf: Was garantiert eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit einer Brandingagentur? Wie intensiv soll die Zusammenarbeit sein? Welche internen Hierarchiestufen soll sie wann involvieren? Und: Wie findet man den passenden Partner?

Eingriffe am Herz des Unternehmens

Die Zusammenarbeit mit einer Brandingagentur geht tiefer als ein herkömmliches Lieferantenverhältnis. Branding betrifft keine Nebensache. Die Marke ist das vitale Zentrum eines Unternehmens, sein unauf-

hörlich schlagendes Herz. Würden Sie an dieses Organ im eigenen Körper einen Newcomer heranlassen? Nein, Sie würden sich einen erfahrenen Spezialisten, einen erstklassigen Herzchirurgen empfehlen lassen und mit diesem intensive Gespräche führen, bis Sie ihm das volle Vertrauen schenken und in den notwendigen Eingriff einwilligen, vielleicht noch, dass Sie eine zweite Meinung einholen. Sollten Sie sich als Unternehmer, als Firmeninhaber grundsätzlich

anders verhalten, wenn es um strukturelle Eingriffe in das Herz Ihres Unternehmens geht? Um Veränderungen am Sinngefüge und an der Ausstrahlung Ihrer Marke?

Missing Briefing?

Es ist keine Schande und kommt in der Praxis gar nicht so selten vor, dass ein Unternehmen seine Brandingziele weder präzise fassen kann noch weiss, womit es den externen Partner genau beauftragen soll. So kann sich bei einem Zukauf von Marken eine komplette Verunsicherung darüber einstellen, wie die erworbenen Brands zu integrieren und mit der Identität des Unternehmens in Einklang zu bringen seien. Der Brandmanager ist unschlüssig, orientierungslos und in dieser Situation logischerweise ausser-

stande, ein sauberes Briefing zu schreiben. Was tun? Sich durchwursteln und mit einem Papierkrieg vom fehlenden Briefing ablenken? Das ist keine Lösung. Sinnvoller ist es, die Briefingentwicklung als solche zum Projekt zu machen und die Zusammenarbeit mit einem darin erfahrenen externen Partner zu suchen.

Positionieren heisst hinterfragen

Agenturen verkaufen sich gerne als Problemlöser, und manche mögen in dieser Disziplin brillieren. Doch in der Praxis viel häufiger nachgefragt wird ein weitaus elementareres Know-how: die Kompetenz der Systematisierung. Ein Zuviel an internem Wissen und die déformation professionelle der Betriebsblindheit erschweren die Fokussierung und die Reduktion auf das Wesentliche. Der unvoreingenommene Aussenblick des externen Partners leistet in dieser Situation unschätzbare Dienste, bringt Ordnung ins Ganze und lenkt das Augenmerk auf die massgeblichen Aspekte. Jede Agentur verwendet hierzu ihre eigenen Vorlagen und Modelle, wobei es weniger darauf ankommt, wie die konzentrischen, pyramidenförmigen oder sonst wie gestalteten Diagramme aussehen und welche Bezeichnungen sie tragen («Brand-Positioning», «Total Brand-Focus» usw.), als vielmehr darauf, mit diesen Hilfsmitteln sinnvoll umzugehen. Das bedeutet, alle – ausnahmslos alle – Begriffe, die den Brand beschreiben, auf ihre Semantik zu hinterfragen. Was jemand unter «modern»,

«sportlich», «sinnlich», «bodenständig», «Genuss», «Eleganz», «Swissness» versteht, ist von individuellen Erfahrungen gefärbt, getrübt, gefiltert. Deshalb ist Begriff um Begriff im gemeinsamen Workshop durchzudiskutieren – es gibt keine Abkürzung zum geduldigen Klären, Eingrenzen, Nachhaken. Erfahrungsgemäss arbeitet man hier am besten mit Bildern. Gute Brandingoder Designagenturen haben eine ganze Sammlung gut sortierter Mappen bereitliegen mit Fotos, die verblüffend hilfreich sein können bei der Aufgabe, sich darüber zu verständigen, wofür denn nun eine Marke steht (und wofür nicht), wo sie herkommt und wo sie hinwill.

Wann die Agentur wechseln?

Die Markenführung ist auf Dauer angelegt, zielt auf Konstanz. Marken gleichen Ozeandampfern, die, einmal in Fahrt, auf ein Wendeoder Bremsmanöver eher träge reagieren. Trägheit und Konstanz sind unvereinbar mit schnellen, häufigen Kursänderungen.

Ein Wechsel an der Spitze der Marketingabteilung ist noch lange kein Grund, die Agentur zu wechseln, im Gegenteil. Warum sollte man das über die Jahre angewachsene Know-how des externen Brandingpartners leichtfertig über Bord werfen? Seine Stärke liegt gerade darin, für die Konstanz und die kontinuierliche Evolution der Marke zu sorgen, auch bei personellen Veränderungen in der Brandingoder Marketingabteilung. Die einzige Gefahr einer längeren Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Agentur liegt darin, dass die Beziehung im Laufe der Jahre an Reiz verlieren und einschlafen kann – wie jede andere Beziehung auch. So weit darf man es nicht kommen lassen. Es ist das Markenzeichen eines professionell agierenden Partners, eine sich anbahnende Beziehungskrise frühzeitig zu erkennen und Gegensteuer zu geben. Das Ziel muss sein, in der Konstanz Kreativität zu liefern, auch nach drei, sieben, zwölf Jahren. Einzig chronische Leistungsschwäche spricht für einen Agenturwechsel.

Brandmanaging ist Chefsache

Die Marke ist nicht nur das Herz eines Unternehmens, sondern auch dessen Kapital, wie die jährlichen Rankings der wertvollsten Marken der Schweiz, der Welt usw. mit eindrücklichen Zahlen belegen. Dass die obersten Entscheidungsträger eines Unternehmens über die Markenführung nachdenken und sich in den entscheidenden Etappen des Prozesses einbringen, sollte die Regel und nicht die Ausnahme sein. Das bedeutet keineswegs, den Brandmanager an die kurze Leine zu nehmen und dass sich die Geschäftsleitung über fünfundzwanzig Gestaltungsentwürfe einer neuen Produkteverpackung beugen müsste. Aber welcher Unternehmer, welcher Firmeninhaber darf die Markenführung vernachlässigen, wenn sich gleichzeitig der Druck von unten auf Marken und Unternehmen zusehends verstärkt – nämlich der Einfluss der sich in den Sozialen Medien organisierenden Kunden und Konsumenten?

Das menschliche Zusammenspiel

Zuweilen vergessen die Lehrbücher (oder es kommt in ihnen zu kurz), dass sich in der Markenführung Menschen begegnen. Ein grundlegender Erfolgsfaktor in der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und externem Partner ist die verbale wie die nonverbale Kommunikation zwischen den beiden Akteuren, das menschliche Zusammenspiel. Je intensiver die Markenarbeit, desto intensiver der menschliche Kontakt in den gemeinsamen Meetings, aber auch im informellen Rahmen. Schon bei der Agenturwahl sollte man sich darüber klar werden, was für ein menschliches Profil sein künftiger Partner haben soll. Soll es ein enger Sparringspartner sein, mit dem man das einvernehmliche Gespräch sucht? Oder braucht man die Reibungsflächen eines Challenging Partners, der in der Rolle des unerbittlichen Kritikers brilliert? Die Geschmäcker sind zum Glück so verschieden wie die Agenturen.

Pitch? Nein, danke

Obwohl entsprechende Ausschreibungen immer wieder für Unmut sorgen, ist die Versuchung, das Problem der Agentursuche mit einem Pitch zu lösen, ungebrochen stark. Doch die Praxis zeigt: Der Pitch ist eine grundsätzlich falsche Übungsanlage. Er setzt Agenturen unter Zeitund Erfolgsdruck, ohne dem Faktor Mensch Raum zu geben. Wie soll eine gut ausgelastete Agentur neben dem Daily Business zusätzliche substanzielle Markenarbeit für einen ihr mehr oder minder unbekannten Kunden leisten? Zeitdruck und Übungsanlage wecken nicht die besten Kräfte einer Agentur, sondern verleiten dazu, alte Entwürfe zu rezyklieren und eilig zusammengeschusterte Konzepte als perfekte Lösungen anzupreisen. Was ist die Alternative zum Pitch? Jedes Vorgehen, das es einer Agentur erlaubt, sich seriös, kritisch und umfassend auf eine konkrete Brandingaufgabe einzulassen. Der erste Schritt dazu ist ein Anruf oder eine E-Mail-Anfrage.